Jungfrau Zeitung, Patrick Schmed, 02.12.2021 – Mit dem Vorhaben für ein Naturschutzreservat rund um das drittgrösste Korallenriff der Welt namens «Seaflower» zeigt Lateinamerika beispielhaft, wie praktischer Umweltschutz die Gesellschaft vorwärtsbringen und friedlich vereinen kann. Damit dies gelingt, engagiert sich auch Vera Weber mit ihrer Organisation für das Projekt in der Karibik.
«Wir können viel von ihnen lernen, weil sie im Einklang mit der Natur leben», sagt Ernesto Samper über die kreolische Urbevölkerung in der Karibik. Sie seien Fischer, die vom Meer her kamen und weiterhin dort leben wollen, ihre Lebensweise sei der Inbegriff von Nachhaltigkeit. «They never take more than there is», präzisiert der ehemalige Präsident von Kolumbien die beispielhafte Umsetzung der Kreislaufwirtschaft – sie nehmen nie mehr, als gerade verfügbar ist, und der Zusammenhalt ihrer Gemeinschaft im Umgang mit der Natur bedeutet ihnen alles. Deshalb halten sie gemäss Ernesto Samper den Schlüssel für die Zukunft des Gran Seaflower-Reservats in den Händen. Und vielleicht auch das der Welt, so zeigt das Gespräch von Ernesto Samper mit Vera Weber von der Fondation Franz Weber.
The future is now
«Das Naturschutzreservat Seaflower liegt im Herzen der Karibik, und es soll so vergrössert werden, dass insgesamt sechs Länder daran beteiligt sind», gibt Vera Weber Auskunft über das Vorhaben, das bei der Fondation Franz Weber auf der Liste der aktuellen Projekte steht. Die internationale Zusammenarbeit sei eher ungewöhnlich, doch könnten durch den Zusammenschluss und die Vergrösserung des Gebiets auch Friedensziele erreicht werden. Das sei dringend nötig, vor allem im Grenzgebiet zwischen Kolumbien und Nicaragua. «The Future is now», die Zukunft beginnt jetzt, davon ist Ernesto Samper überzeugt. Er war von 1994 bis 1998 Präsident von Kolumbien und gründete 2001 die Organisation «Vivamos Humanos», die er als Ehrenpräsident vertritt. Der gebürtige Kolumbianer ist wegen seines Buchs «Grito Latinamericano» auf Tournee in Europa. Vera Weber hat das Buch bereits erhalten und ist begeistert. «Wir versuchen nun, das Buch auf Englisch und vielleicht sogar auf Deutsch zu übersetzen, denn wir können viel lernen von diesem Projekt in Lateinamerika und den Erfahrungen Ernesto Sampers.»
Gespräch mit Vera Weber, Präsidentin der Fondation Franz Weber, und Ernesto Samper, Ex-Präsident von Kolumbien und Gründer von Vivamos Humnos
Kolumbien ist etliche Flugstunden weit entfernt, wieso engagiert sich die Fondation Franz Weber genau dort?
Vera Weber: Weil wir überzeugt sind, dass mit dem Projekt Gran Seaflower grosse Veränderungen herbeigeführt werden, und das global gesehen. Es geht ja nicht nur um Umweltthemen, sondern um Kultur, Gesellschaft, Politik und diplomatische Beziehungen, und es werden sechs Länder einbezogen. Das macht das Projekt so einzigartig und wegweisend für die Zukunft.
Das Engagement hat aber auch einen anderen Bezug, der sehr eng mit der Schweiz verknüpft ist.
2019 haben wir dafür gekämpft, das Ozeanium in Basel zu verhindern. Das Argument war damals, die Ozeane dort zu schützen, wo sie sind, anstatt die Fische und Meeresflora in unser Binnenland zu bringen und hinter Glas zu präsentieren. Das wird nun durch das Engagement für Gran Seaflower unterstrichen.
Mr. President, Sie sind von Kolumbien nach Spanien geflogen, um Ihr Buch vorzustellen, und haben zwei Tage reserviert für einen Besuch bei der Fondation Franz Weber. Wieso das?
Ernesto Samper: Für uns ist die Fondation Franz Weber ein wichtiger Partner. Das hat einerseits mit dem Know-how im Bereich Umweltschutz, Ozeanologie oder Biologie zu tun. Dazu engagiert sich die Fondation Franz Weber immer wieder aktiv für Projekte mit Symbolcharakter – zum Beispiel gegen Stierkämpfe, für Pferde oder für Elefanten. Wir sind sehr dankbar, dass Vera Weber und ihr Team das seit bald fünf Jahren für Gran Seaflower mit seinen Fischen und Korallen tun.
Die von Ihnen gegründete Organisation «Vivamos Humanos» hat vor allem humanitäre Ziele. Wieso ist der Umweltschutz in diesem Fall so wichtig?
Indem wir den Perimeter des Naturreservats von 180’000 auf 500’000 Quadratkilometer ausweiten, bringen wir Panama, Costa Rica, Honduras, Jamaica, Nicaragua und Kolumbien in eine Allianz, die das Unesco-Welterbe mit dem drittgrössten Korallenriff der Welt umfasst. Dies ist eine gute Grundlage, um die Friedensbestrebungen weiterzutreiben.
Wie muss man sich das vorstellen?
Eines der grössten Probleme – gerade in den Grenzgebieten von Nicaragua und Kolumbien – ist der Anbau von illegalen Pflanzen. Damit gehen Landrodungen, Korruption oder Gewalt einher. Die Regierungen versuchen das mit Repressalien zu unterdrücken. Doch dieser Weg führt nicht zum Erfolg, so sind wir bei Vivamos Humanos überzeugt.
Wie sieht denn Ihr Weg aus?
Wir möchten die Bauern dazu anleiten, andere Produkte wie Kakao, Kautschuk oder Kaffee anzubauen. Damit dies gelingt, braucht es allerdings Subventionen, und diese ermöglicht man durch die Ausweitung des Naturreservats.
Die kreolische Bevölkerung dient dabei sozusagen als Beispiel für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt und den Ressourcen.
Sie leben im Einklang mit den Kreisläufen der Natur, das ist Teil ihrer ursprünglichen Kultur, und diese ist in all den oben genannten Ländern vertreten. Deshalb sind sie gute Botschafter, um zu zeigen, dass man Frieden mit den Menschen schliessen kann, wenn man in Frieden mit der Natur lebt.
Wird die Fondation Franz Weber durch dieses Engagement neu auch humanitäre Ziele anstreben?
Vera Weber: Wie gesagt, wir konzentrieren uns auf die ökologischen Belange. Dazu können wir diplomatische Gespräche führen oder Politikerinnen und Politiker beraten, wie sie ihre Regierungen noch stärker auf Tier-, Umwelt- und Naturschutz ausrichten können.
Diese Arbeit braucht es ja bei den übrigen Projekten auch …
Das stimmt, allerdings gibt es weltweit nicht so viele Projekte, die mehrere Staaten einschliessen. Deshalb ist Gran Seaflower für uns so interessant. Es zeigt, wie politische Entscheide dazu beitragen können, das ökologische Gleichgewicht unserer Welt zu verbessern.
Wenn das Projekt Gran Seaflower Erfolg hat, hat also die ganze Welt etwas davon?
So ist es, denn wir leben in einem Gesamtsystem, und alles, was in der Natur passiert, hat auch an anderen Orten Auswirkungen.
Das Bewusstsein dafür scheint an vielen Orten noch zu fehlen.
Genau deshalb setzen wir auch bei Gran Seaflower auf Informationsoffensiven. In diesem Rahmen werden wir versuchen, die Übersetzung von Ernesto Sampers Buch ins Englische und sogar ins Deutsche zu ermöglichen. Es hilft nämlich dabei aufzuwachen und zu realisieren, dass die Zukunft tatsächlich schon begonnen hat. So viel ist klar – wenn wir unsere Erde retten wollen, müssen wir jetzt beginnen zu handeln.
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